"Ich bin ein Kämpfer"
Aus dem "Schanzer Journal", Oktober 1987
Emmi Böck, von der bisher sieben Sagenbücher veröffentlicht wurden - als letzter Band "Sitzweil - Oberpfälzer Sagen aus dem Volksmund" - bekam am 18.8.1987 für ihre verdienstvolle Arbeit auf dem Gebiet der Sagenforschung den Bayerischen Verdienstorden verliehen.
Namhafte Volkskundler würdigten ihre Werke als die bedeutendste Sagensammlung seit 150 Jahren.
Aus aktuellem Anlass sprach Ziri Wagner mit der "sagenhaftesten Frau Deutschlands".
SJ: Du bist nicht zur feierlichen Ordensverleihung nach München ins Antiquarium gefahren. Hast du dich davor gescheut, Franz Josef Strauß die Hand zu schütteln?
Emmi: Ich bin deshalb nicht gefahren, weil ich krank bin und jeglicher Stress, wie ihn auch solch ein Empfang mitgebracht hätte, lebensbedrohlich für mich sein kann. Das ist mein offizieller Grund.
SJ: Der Boss des Michaelsbundes, einer riesigen Büchervereinigung, hat dir aber doch geschrieben: "Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen die Knie bei der Überreichung des Ordens durch den Landesvater gezittert haben. (Er nahm an, du seiest bei der Preisverleihung gewesen) Aber einmal muss jeder aufrechte Bürger unserem Ministerpräsidenten in die Augen schauen!"
Emmi: Ja, das hat er allerdings geschrieben. Und ich hab, ebenfalls im Spaß, geantwortet: Ich fühl' mich so aufrecht als Bürger, dass ich es mir gar nicht leisten kann, einem Politiker in die Augen zu sehen!'
SJ: Empfindest du es nicht als Widerspruch, den Bayerischen Verdienstorden zu tragen und gleichzeitig beispielsweise einen Anti-WAA-Button?
Emmi: Da gibt es sogar eine Gemeinsamkeit: den Bayerischen Verdienstorden habe ich erhalten für meine Arbeit, hinter der ich voll und ganz stehe. Und Buttons, die ich gelegentlich trage, bei einer Demo beispielsweise, habe ich angesteckt, um zu zeigen: "Dahinter stehe ich auch!"
SJ: Warum hast Du den Orden angenommen?
Emmi: Weil ich ihn gewollt habe! Ich habe keine Ehrgeiz, also Streben nach Ruhm und Ehre haben dabei keine Rolle gespielt. Bei meiner Außenseiterrolle ist es wichtig, dass man gut ist, also muss man besser sein als die anderen und es wäre ja nur im Sinn meiner Feinde, wenn ich mein Licht unter den Scheffel stellen würde. Und ich kann ihn auch nehmen, weil ich weiß, dass er mich nicht korrumpiert. Angenehme Sachen sind sicher mit ihm verbunden: der Orden ist eine handwerkliche Meisterleistung und außerdem darf ich auf bayerischen Staatsschiffen mit Begleitperson unentgeltlich fahren, kann kostenlos in staatliche Museen, Ausstellungen, Schlösser...
Zahlreiche Minister haben mir geschrieben, wahrscheinlich Schreibcomputer, und haben mir gratuliert und ich hab' ihnen gedruckte Karten zurückschicken lassen mit einem Dank und den Worten des großen bayerischen Historikers Aventin "es ist am Tag und es ist war, das reichtumb, gewalt und ehr dieser welt zergenklich und unbestendig sind...". Das zeigt ja meine Einstellung zu den diesen Dingen. Trotz allem finde ich es schon wichtig, dass auch mal so ein Orden an den Richtigen kommt.
SJ:Und du bist die Richtige?
Emmi: Freilich! Man wird mir sicher vorwerfen "Du nimmst das von Leuten die indiskutabel sind das hat man mir beim Bundesverdienstkreuz 1981 auch vorgeschmissen. Wenige Leute, wie z.B. mein Rechtsanwalt Herbert Fiedler, verstehen mich in diesem Punkt, weil er aus Erfahrung weiß, dass ich nicht unter einer Billion korrumpierbar bin. Der Forschungsauftrag vom Bezirkstag der Oberpfalz 1980ff hat mich auch nicht korrumpiert. Da hab' ich auch mit harten Bandagen gekämpft, wenn ich es notwendig gefunden habe, aber ich habe mich schließlich durchgesetzt. Sie haben nachgegeben und ich habe ihnen das umfassendste Sagenwerk geliefert, dessen sich ein deutscher Regierungsbezirk rühmen kann. Ganz glücklich san's ja mit mir auch nicht, weil ich ein paar heilige Kühe in meinen Anfängen geschlachtet hab', aber insgesamt gefällt ihnen das Werk und ich bin auch a bißl stolz darauf.
SJ: Was für ein Verhältnis hast du zu deinen Werken?
Emmi: Es ist eine komische Sache: andere Leut', wenn sie mit ihrer Arbeit fertig werden, ein Buch 'rausgeben und dafür noch an Orden kriegen, die sind dann happy. Ich bin nachher oft deprimiert. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn eine Frau ein Kind auf die Weit bringt, wahrscheinlich ist das irgendwie ein ähnliches Verlustsyndrom. In diesen Augenblicken wird mir besonders klar, dass das alles nicht so ist - so Ehre, Ruhm ... Im Grunde zählt ja nur die zwischenmenschliche Beziehung und die Arbeit selber. Aber Arbeit am Werk ist faszinierend, das fertige Werk lässt mich dann seltsam unberührt. Wenn sie fertig sind, sind sie auch irgendwie nicht mehr meine Bücher. Der Arbeitsprozess, des is' des Allerschönste, wo man noch gar nicht weiß, wo's hingeht.
SJ: Der Chef der Zeitung "Die Woche", Harald Raab, schrieb: "Der Sagenschatz einer Region berichtet viel von der ungeschriebenen Sozialgeschichte der Menschen, die hier [eben. Geschichten im Volksmund, das sind die notwendigen Tagträume, die psychische Entlastung in einem sonst nur schwer zu ertragenden Leben, wo der Ober den Unter sticht..."
Emmi: Sozialhygiene deshalb, weil da irre Sachen in den Sagen vorkamen: Kindsmord, Abtreibung zum Beispiel. Das waren vor 100 Jahren genauso brennende Probleme wie heute, nur dass die Leute damals noch viel hilfloser waren, die hatten ja gar keinen Ansprechpartner. Die Sagen wirkten hier ungefähr wie ein befreiendes Ventil, um unbewältigte Probleme rauszulassen. Mein Mitgefühl mit diesen Leuten ist ungeheuer groß, obwohl ich ein Gegner der Abtreibung bin, weniger aus religiösen Gründen, sondern wegen den daraus resultierenden psychischen und sozialen Konflikten.
Also in den Sagen kommt zum Beispiel eine Abtreibung verschlüsselt vor: da ist ein Mann "wia dea Deifi" und hat a hoibats Kind in der Hand. Ich hab das immer nicht verstanden, bis mir eine Bäuerin einmal erklärte, dass damit eine Abtreibung gemeint sei. Die haben das früher zum Beispiel mit Wasser vom Schleifstein oder mit verschiedenen Kräutern gemacht. Ein Standardwerk der Volksmedizin nennt allein 173 Abortiva.
SJ: Warum schweigt dich der Donau Kurier derart tot?
Emmi: Ich nehme an, aus mehreren Gründen: ich habe das erste Flugblatt gegen den Dr. Reissmüller mitgemacht, so um '69 rum, ebenso wie die erste Dokumentation über den DK. Anfang der 70er haben wir eine Collage "Jesus in schlechter Gesellschaft" über ihn gemacht.
SJ: War das die aufsehenerregende Collage, bei der ein Reissmüller-Foto im "Schaufenster" der Monstranz integriert war und die den bedeutenden Hamburger Kunsthistoriker Professor Werner Hofmann auf den Plan gerufen hat?
Emmi: Ja, genau. Ende 67 bis 70 hab ich mich auch sehr stark in der außerparlamentarischen Opposition engagiert, hab mit Leuten zusammengearbeitet, die mit dem DK im Prozess standen, wie zum Beispiel das Schanzer Journal in der Sache mit den "Schwarzen Listen".
1968 im Oktober steht in den Heimatblättern noch etwas von mir mit "Fortsetzung folgt", und dann plötzlich nichts mehr. Selten und tröpfchenweise erschienen Kurznotizen an unmerklichen Stellen. 1982 war plötzlich wieder ein großer Artikel über mich drin und da hab ich gemerkt, wie dumm ich bin. Ganz arglos ist mit aufgefallen, dass nach jahrelanger Pause wieder was geschrieben wird, bis der Gerd Reichert zu mir gesagt hat: "Da ist doch in München der DK-Prozeß wegen den schwarzen Listen die brauchen ein Alibi!" Und ich dachte noch: so einfach geht des doch ned, das Gericht merkt auch, dass jahrelang nichts war und dann ad hoc... Aber es ging anscheinend doch. Ich aber weiß, was los ist.
Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass ich keinen Hass oder irgendwelche bösen Wünsche gegen den Dr Reissmüller hege. Mir ist sogar eine Gemeinsamkeit von uns beiden bewusst, nämlich das Missionieren-wollen, nur packen wir an verschiedenen Enden an... Ich hab zum Beispiel ein Taschentuch vom Dr. Reissmüller, da tät sich ja anbieten als Volkskundlerin, dass ich daraus eine Art 'Atzelmann" mach. Das sind so Puppen, in die früher dann Nadeln gestochen wurden.
SJ: Ich wollte nochmals auf dein sozialkritisches Engagement zu sprechen kommen.
Emmi: Ich bin Alleinjäger, Autonomer darf man ja heute gar nicht mehr sagen. Mich hat's unheimlich gefreut zu hören, dass meine ehemalige Lehrerin, Therese Füssel vom Gnadenthal, wo ich Abitur gemacht habe, gesagt hat: Ich habe in meiner langjährigen Zeit als Lehrerin niemanden kennen gelernt, der so ein stark ausgeprägtes soziales Gewissen hat wie die Emmi Böck."
SJ: Und wie äußert sich dein soziales Gewissen?
Emmi: Politisch zu sein, das bedeutet für mich, dass es mich reißt, wenn ich was les, wenn ich was seh', was ned stimmt, einfach Empörung. Wenn ich mich zum Beispiel beim Sozialminister Jaumann für die Glückwünsche bedank, dann nutz ich die Gelegenheit, um ihn auf den Fluglärm im Donau-Ries aufmerksam zu machen. Ich schreib auch ab und zu an den OB, naja, da bleibt meistens alles beim alten, zum Beispiel, dass Ingolstadt keine Lärmschutzverordnung hat, Anregungen zu einem Erwachsenenspielplatz wie in Holland oder Vorschläge, der lärmgeschüttelten "Kraut-und-Rüben-Stadt" eine menschenwürdigere Atmosphäre einzublasen.
SJ: Zurück zu deiner Arbeit: wie kommst du eigentlich mit den Leuten klar, mit denen du zusammenarbeitest?
Emmi: Mit meinen Gewährsleuten bin ich innig verbunden, dafür bin ich bekannt. Diese einfachen Leute, die Vertrauen haben zu mir, die ganz unprätentiös erzählen, nicht hinter allem eine Philosophie sehen, das sind doch die schwachen Leute, die Lieben und so... Mir schreiben dann die Bauersfrauen ihre Probleme, zu denen hab ich einen tollen persönlichen Kontakt. Eine gewisse Überheblichkeit bild ich dann Leuten gegenüber aus, die immer in meine Arbeit dreinreden wollen, aber nix davon verstehen. Ich bin ein Kämpfer. Ich war nach meinem Germanistikstudium ein 3/4 Jahr im Krankenhaus, dann hab ich fast 10 Jahre nicht gewusst wohin, war plötzlich 100 Prozent schwerbehindert. Ich hab so eine lange Durststrecke gehabt (...)
SJ: Gibt's ein Motto, das du unterschreiben würdest?
Emmi: Ja, ganz bieder, aber in seiner Konsequenz brisant: "Tue recht und scheue niemand!" Dabei ist mein Gewissen meine einzige Richtschnur. Außerdem mag ich sehr viel, was Henry Thoreau geschrieben hat.
SJ: Abgesehen von Weißwurscht & und Leberkas, was ist dir zuwider?
Emmi: Schon als etwa 16jährige habe ich in der Schule, als wir den lateinischen Satz übersetzen mussten "medio tutissimus" (auf dem goldenen Mittelweg wirst du am sichersten gehen) lautstark "Pfui Deibi" plärrt.